„Hinterkaifeck – ungeklärter Mordfall vor 90 Jahren“

Vortrag vom Kriminalhauptkommissar a.D. Konrad Müller

Der Vortrag „Hinterkaifeck – ungeklärter Mordfall vor 90 Jahren“ beleuchtete die schreckliche Tat in der Mordnacht von 31. März auf 1. April 1922, die sich auf dem Einödhof Hinterkaifeck (ein älterer Hof, bei dem Wohnhaus, Stall und Stadel auf einer Länge von ca. 25 m rechtwinklig zusammengebaut sind) nahe Schrobenhausen ereignete und bis heute nicht geklärt ist. Einige Tage später, am 4. April, wurden die Leichen aufgefunden. Auf brutaler Weise wurden vor 90 Jahren sechs Menschen erschlagen; der Täter konnte nicht gefasst werden. Spekulationen über Motive und Täter des unheimlichen Verbrechens sind bis heute nicht verstummt. Der Fall ist ein dunkles Kapitel der deutschen Kriminalgeschichte und des menschlichen Zusammenlebens.

Bereits 1923, ein Jahr nach dem sechsfachen Mord, wurde der Einödhof abgerissen und dem Erdboden gleich gemacht. Heute erinnert nur noch ein Marterl an das grausame Verbrechen und gibt Zeugnis vom Mythos Hinterkaifeck.

Da der Fall ungelöst ist, interessieren sich auch heute noch viele für den Fall. Es wird viel spekuliert, aber keiner weiß, wer der Mörder war.

Opfer waren der Bauer Andreas Gruber (63), seine Frau Cäzilia (72), ihre Tochter Viktoria Gabriel (35), deren Kinder Cäzilia (7) und Josef (2) und die Dienstmagd Maria Baumgartner (44). Mit einer Hacke wurde allen Opfern der Schädel eingeschlagen. Da der Fall von der Polizei nicht aufgeklärt werden konnte, wurden 1955 die Akten geschlossen.

Bereits 1951 griff der Autor Josef Ludwig Hecker den ungeklärten Mordfall auf und berichtete hierüber in einer Serie im Donau Kurier. 1972 folgte dann im DK eine erweiterte Fassung.

Der Journalist Peter Leuschner machte den Mord mit seinem Buch im Jahre 1978 (nur Einsichtnahme in die Augsburger Akten) und der überarbeiteten Neufassung im Jahre 1997 (neben den Augsburger Akten wurde auch Einsicht in die Münchner Akten genommen) bundesweit bekannt.

Die Brutalität des Verbrechens war es, die vor 31 Jahren den Ingolstädter Heimatchronist Hans Fegert zur Verfilmung der Handlung anregte und einen Spielfilm mit dem Titel „Hinterkaifeck – Symbol des Unheimlichen“ entstehen ließ. Im Jahre 1991 sendete das ZDF eine Dokumentation des Regisseurs Kurt Hieber. Im Jahre 2009 wurde ein weiterer Dokumentationsfilm von Kurt Hieber im ZDF ausgestrahlt.

Im Jahre 1980 begann auch der Kriminaler Konrad Müller sich mit dem Thema zu beschäftigen.

Konrad Müller, Kriminalhauptkommissar a.D. aus Wettstetten war u. a. beim Bundesgrenzschutz, von 1954 bis 1957 als Leibwächter des Bundeskanzlers Konrad Adenauer und später in der Dienststelle Ingolstadt tätig. Dabei zählte auch die Spurensicherung zu seinem Aufgabengebiet.

Im Jahre 1951 kam der Referent (damals 16-jährig) erstmals mit dem Mordfall in Berührung, als er einen Roman über dieses Ereignis las.

Konrad Müller illustrierte seine Erzählungen vom Mordfall „Hinterkaifeck“ an Hand von Fotos, Polizeiberichte, Pressemitteilungen, Pläne vom Tatort, Luftbilder, Obduktionsbefunde und Sterbebilder. Eine große Zahl selbst gemalter Bilder vom Tatort und von Landschaftsdarstellungen des Einödhofes vermittelte eine eindrucksvolle Stimmung von den Ereignissen der damaligen Zeit. Der Einödhof Hinterkaifeck, zur Gemeinde Waidhofen gehörend und 500 m südwestlich von Gröbern gelegen, existiert heute nicht mehr.

Zu Beginn seines Vortrags stellte der Referent fest, dass er keine Namen in Verbindung als möglicher Täter aufzeigen werde.

Am Anfang des Vortrags zeigte Konrad Müller kurz die Familiengeschichte der Mordopfer und danach die Geschehnisse vor und nach der Bluttat chronologisch auf. Zum Schluss begab er sich auf „Spurensuche“ und berichtete über die Ermittlungsergebnisse.

Familiengeschichte:
Im Jahre 1986 heiratete der Bauer Andreas Gruber die neun Jahre ältere Witwe Cäzilia. Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor, von denen zwei im Kindesalter verstarben. Das Ehepaar Gruber lebte gemeinsam mit ihrer am 06.02.1887 geborenen Tochter Viktoria zurückgezogen auf dem Einödhof. Sie waren fleißig und sparsam.

Im Jahre 1903 wurde Andreas Gruber wegen Blutschande an seiner Tochter Viktoria zu einem Jahr Gefängnis in Straubing verurteilt. Die 16-jährige Viktoria wurde vier Wochen in Straubing inhaftiert.

Im Jahre 1913 heiratete Viktoria den Nachbarssohn Karl Gabriel. Diese Ehe verlief jedoch nicht harmonisch. Karl Gabriel kehrte immer wieder in sein Elternhaus zurück. Im Jahre 1914 – zu Beginn des 1. Weltkriegs – wurde Karl Gabriel zum Militärdienst eingezogen. Karl Gabriel ist im Krieg gefallen.

Im Jahre 1916 wurden Andreas Gruber und seine Tochter Viktoria Gabriel erneut wegen Blutschande in Straubing inhaftiert.

Im Jahre 1918 versuchte Viktoria, sie war mittlerweile schwanger, einen Nachbarn zu überreden, sie zu heiraten. Der Nachbar willigte ein. Vermutlich wollte Viktoria einen legitimen Vater vorweisen, um somit eine erneute Blutschande zu vertuschen und einen weiteren Gefängnisaufenthalt zu vermeiden.

1919 wurde ihr Sohn Josef geboren. Viktoria gab als dessen Vater ihren Nachbarn an. Die Heirat mit dem Nachbarn kam jedoch nicht zu Stande, da ihr Vater, Andreas Gruber, die Zustimmung verweigerte. Der Nachbar bezahlte Alimente für den Sohn von Viktoria.

Der Nachbar zeigte Andreas Gruber wegen Blutschande an. Daraufhin kam Andreas Gruber wieder ins Gefängnis. Auf Bitten von Viktoria hin, zog der Nachbar seine Anzeige zurück und Andreas Gruber kam wieder frei.

Viktoria, die die 1. Stimme im Kirchenchor sang, war von jungen Burschen umschwärmt. Als junge Burschen auf den Hof kamen und sich als Heiratskandidaten vorstellten, sperrte ihr Vater, Andreas Gruber, seine Tochter Viktoria immer weg.

Zeit vor der Bluttat:
Im Jahre 1921 löste Viktoria zwei Pfandbriefe in Höhe von 3.800 Mark ein. Im selben Jahr hat eine Magd ihren Dienst auf dem Einödhof Hinterkaifeck gekündigt, da es angeblich auf dem Hof spukte.

Im Jahre 1922 hat sich Viktoria von ihrer Halbschwester 8.000 Mark für die Anschaffung einer Dreschmaschine und eines Motors geliehen.

Am 02.03.1922 hob Viktoria ihre gesamten Spareinlagen in Höhe von 1.824 Reichsmark ab. Wofür sie dieses Geld benötigte, ist nicht bekannt.

Am 17.03.1922 fand Pfarrer Haas 700 Mark in Gold (ca. 1.400 Euro) im Beichtstuhl für die Mission vor, die von Viktoria waren.

Am 29.03.1922 entdeckte Andreas Gruber Spuren im Schnee, die in seine Scheune hinein, aber nicht mehr heraus führten. Außerdem stellte er fest, dass ihm ein Hausschlüssel fehlte. Zu Nachbarn machte er die Aussage: „Irgend Jemand treibt sich bei mir auf dem Hof herum. Aber mit dem Gesindel werde ich schon fertig.“

Am 31.03.1922 kam die neue Dienstmagd, Maria Baumgartner, in Begleitung ihrer Schwester auf den Einödhof in Hinterkaifeck. Gegen 17 Uhr verabschiedete sich die Schwester, die als letzte Person, die die Mordopfer lebend gesehen hat, gilt. Denn noch in derselben Nacht von Freitag, 31.03.1922, auf Samstag, 01.04.1922, ereignete sich die grausame Tat.

Zeit nach der Bluttat:
Am Samstag, 01.04.1922, erschien die siebenjährige Cäzilia, Tochter von Viktoria, nicht in der Schule.

Am Sonntag, 02.04.1922, fehlte Viktoria im Kirchenchor bei der Sonntagsmesse.

Am Dienstag, 04.04.1922 kam der Handwerker Albert Hafner auf den Einödhof, um einen Motor zu reparieren. Dabei fand er zwar das Scheunentor sperrangelweit offen stehend und den bellenden Hund, jedoch kein Anzeichen von den Bewohnern des Einödhofs vor. Der Handwerker ging nicht in die Scheune. Nach Ausführung der Reparaturarbeiten berichtete der Handwerker dem benachbarten Ortsvorsteher vom merkwürdigen Zustand auf dem Einödhof Hinterkaifeck und bat darum den Bauer Andreas Gruber mitzuteilen, dass der Motor repariert sei.

Der Ortsvorsteher ging zusammen mit zwei weiteren Personen zum Hof der Familie Gruber/Gabriel und fand nun das Scheunentor geschlossen und den Hund verletzt vor. Um in die Scheune zu gelangen, brachen sie das Tor auf. Der Ortsvorsteher ging von der Scheune in den Stall und fand dort den Bauer Andreas Gruber (63 Jahre) und seine Frau Cäzilia (72 Jahre) sowie seine Tochter Viktoria Gabriel (35 Jahre) und deren Tochter Cäzilia (7 Jahre) in der Futterkammer tot übereinander liegend vor. Alle war der Kopf eingeschlagen. Danach gingen sie in das Haus und fanden im Schlafzimmer von Viktoria ihren 2 1/2-jährigen toten Sohn Josef und auf dem Bett eine leere Brieftasche vor. Die Dienstmagd Maria Baumgartner (44 Jahre), die erst kurz zuvor ihren Dienst angetreten hatte, lag tot mit eingeschlagenem Kopf in ihrer Kammer; der Rucksack war noch gar nicht ausgepackt.

1923 wurde der Einödhof, den niemand haben wollte, abgerissen.

Ermittlungsergebnisse:
Aus München kam ein Kommissar mit einem sechsköpfigen Ermittlungsteam zum Tatort. Die Obduktion der Leichen wurde vor Ort ausgeführt. Zur Ergreifung des Täters wurden vom Staatsanwalt 100.000 Mark Belohnung ausgelobt. Bis zum 01.05.1922 waren 65 Personen in Haft; es konnte jedoch keinem die Tat nachgewiesen werden.

Als Mordwaffe wurde eine Reuthaue (Reut = Roden), die vom Einödhof stammte, sichergestellt.

Konrad Müller berichtete über die Aufklärungsversuche der Polizei und die Mängel bei deren Ermittlung.

Mysteriös bzw. ungeklärt sind bis heute:

– Inzest-Fall
– wozu hat Viktoria das Geld (13.624 Mark abgehoben) benötigt?
– warum hat Vitoria der Kirche einen großen Betrag gespendet?
– erstaunlicher Reichtum der Opfer
– fehlender Haustürschlüssel
– rätselhafte Vorfälle nach der Tat: zuerst offenes, dann geschlossenes Scheunentor
– rätselhafte Vorfälle nach der Tat: zuerst Hund an der Kette, dann verletzter Hund
– rätselhafte Vorfälle nach der Tat: wer hat das Vieh gefüttert?
– rätselhafte Vorfälle nach der Tat: Backofen hat zwei Tage nach dem Mord geraucht
– nicht überprüftes Alibi vom Nachbar
– Anerkennung eines Kindes, das dann erschlagen wird
– ein verschollener Ehemann von Viktoria

Konrad Müller bemängelte die schlechte Zusammenarbeit zwischen der Stadt- und Landpolizei. Obwohl die Sicherung von Fingerabdrücken seit 1909 bekannt war, wurde diese Technik in Hinterkaifeck nicht angewandt. Außerdem gab es viele Ermittlungspannen. Da der Tatort nicht abgesperrt war, sind viele durch das Haus marschiert und haben dabei Beweise zerstört bis die Kriminalpolizei aus München eintraf. In den Akten sind Namen, Orte, Zahlen, Uhrzeiten ungenau, falsch oder sie fehlen. Die Tatortsituation ist nur dürftig beschrieben. Die Beschreibung der Umgebung des Tatortes fehlt. Die Beschreibungen sind nur lückenhaft und ohne Durchschlag. Wichtige Zeugen sind erst Jahre später oder gar nicht vernommen worden. Aus dem Umfeld der Opfer wurde niemand vernommen. So wurde auch der Postschaffner Josef Mayer, der die Zeitung vorbei brachte und somit als einer der letzten der Andreas Gruber lebend sah, nicht vernommen.

Die Möglichkeit, dass Karl Gabriel, Ehemann der jungen Bäuerin Viktoria, nicht im 1. Weltkrieg gefallen ist, und er der Blutschande in seiner Familie ein Ende bereiten wollte, schloss Konrad Müller aus. Als Tatverdächtiger scheidet Karl Gabriel aus, da er am 12.12.1914 bei Arras gefallen ist und auf dem Soldatenfriedhof in Verdun bestattet wurde. Karl Gabriel steht auf der Gefallenenliste; zwei Zeugen haben bestätigt, dass er gefallen ist.

Einen Raubmord, der damals auch als Motiv in Erwägung gezogen wurde, schloss Konrad Müller aus. Die leere Brieftasche auf dem Bett von Viktoria Gabriel sollte nur einen Raubmord vortäuschen. Da im Schrank noch Geld lag und der Täter sich noch mehrere Tage am Tatort aufhielt, ist ein Raubmord unwahrscheinlich. Bei einem Diebstahl wäre der Täter sofort geflüchtet.

Auch die beiden Brüder Adolf und Anton Gump wurden als Tatverdächtige betrachtet, nachdem diese im Jahre 1941 von ihrer Schwester bei einer Krankensalbung (außerhalb der Beichte) gegenüber dem Pfarrer als Täter von Hinterkaifeck bezeichnet wurden. Damals wurde Anton Gump lange von der Polizei vernommen; jedoch ergebnislos.

Die Ermittlungen erstreckten sich sogar bis nach Russland. Mehrfach berichteten ehemalige Soldaten, dass sie in Russland von einem deutschsprachigen Offizier mit dem Hinweis, dass er der Mörder von Hinterkaifeck sei, entlassen wurden. Dieser wurde später wegen Meineid verurteilt.

Das vom Kriminaler Udo Nagel im Jahre 2000 erstellte Täterprofil hatte zum Inhalt, dass zwischen Täter und Opfer eine starke emotionale Beziehung bestand.

Referent Konrad Müller sieht im zweijährigen Sohn Josef das Tatmotiv (Vaterschaft / Inzestverhältnis). Müller geht davon aus, dass Viktoria Gabriel eine Beziehung zu drei Männern unterhalten hat.

Zum angesehenen Ortsvorsteher des Dorfes Gröbern, Nachbar von Hinterkaifeck, machte Konrad Müller keine Angaben.

Lied:
Zum Abschluss trug der Referent Konrad Müller die nachfolgende selbst getextete und komponierte Ballade mit Gitarrenbegleitung vor.

„Ein Acker liegt am Waldesrand,
wo einstmals Hinterkaifeck stand.
Der Wind trägt das Geschrei der Armen,
erzählt vom schlimmsten Mord vor Jahren.

Es war im Jahre 22,
Blutschande lag an Einödhof.
Als Ende März ein Schneesturm tobte,
da wurd´ ein Leichentuch daraus.

Ein loses Rind brüllt in der Nacht
und lockt die Opfer aus der Ruh!
Sechs Menschen werden umgebracht,
der Tod schlägt unbarmherzig zu.

Die Schreckenstat bleibt ungesühnt.
Kein Stein am Hof als Zeuge bleibt.
Kein Mensch hat je solch` Straf` verdient,
der Wald steht schwarz und schweigt.“